Die Reise zum schwarzen Loch // Eine Montage
Akustisch habe ich für das Montieren der Textteile ein Geräusch gewählt, das wie ein Zipper klingt, wenn man etwas aufreißt.
Es geht so:
+++ ssssp
Und damit geht es los.
+++ ssssp
(Prolog)
18. Prozent. In der Kunst sogar 33.
Darf, ich Ihnen vorstellen – das deutsche Gender-Pay-Gap.
Was Sie tun müssen, um nachteilig davon betroffen zu sein?
Gar nichts.
Sein Sie nur weiblich.
Wie ich.
+++ ssssp
(Sternwarte)
Seit jeher hat uns das Universum fasziniert.
Und Fragen aufgeworfen.
Wie ist das alles entstanden? Wie ist das alles möglich?
Und: Was ist noch da draußen?
Liebe Besucherinnen und Besucher der Sternwarte Lücke!
Wir sind umgeben von einer nicht greifbaren Unendlichkeit.
Doch wir enträtseln immer mehr Geheimnisse. So wie das der schwarzen Löcher.
Eins davon markiert das Zentrum unserer Galaxie. Sagittarius A* heißt das schwarze Loch in der Mitte der Milchstraße. Gigantisch groß. Alles verschlingend. Und dabei ganz und gar unsichtbar.
+++ ssssp
(Lore)
Noch einen Kaffee für Sie?
Lore schüttelt den Kopf. Sie denkt an die Rechnungen, die noch zu Hause liegen.
Zahlen, sagt sie.
Zahlen waren noch nie ihr Ding.
Sie war gut im Zeichnen. Gut im Schraffieren. Gut im Strich setzen. Gut in der Perspektive.
„Außergewöhnlich“, sagte ihre Kunstlehrerin und machte ihr Mut für die Bewerbung an der Hochschule.
Beim ersten Mal wurde sie nicht angenommen.
Da gab sich Lore ein Jahr Zeit. Übte weiter das Zeichnen, das Schraffieren, das Strich setzen, die Perspektive. Manchmal saß sie nächtelang über einem Bogen Papier. Außerdem ergattere sie einen Aushilfsjob in einer Galerie. Dort lernte sie Leute kennen, die ihr Tipps für die Bewerbung an der Hochschule gaben.
Und beim zweiten Mal klappte es.
Lore lächelt, wenn sie daran denkt, wie stolz sie damals war.
Manchmal wünscht sie sich ein bisschen von diesem Gefühl zurück.
Doch dort, wo der Stolz saß, ist inzwischen etwas anderes entstanden.
Eine Lücke.
+++ ssssp
(Wörterbuch)
Lücke, die
Substantiv (Femininum)
Bedeutung: offene, leere Stelle;
Stelle, an der etwas fehlt
+++ ssssp
(Lore)
Etwas fehlt.
Im Portmonee, auf der Bank, auf der hohen Kante.
Fürs Jetzt. Fürs Später. Fürs Unbekannte.
Fürs Wohnen. Fürs Leben. Fürs Weitersehn.
Und das Schlimme daran: Es hat System.
Es liegt nicht am Nicht-Können, Nicht-Wollen und schon gar nicht am Fleiß,
nein, was Lore hier zahlt, ist ein anderer Preis,
Ein Preis, den sie trägt dank Gesellschafts-Genom
Und einem zweiten X-Chromosom.
+++ ssssp
(Ich)
Guten Tag,
Mein Name ist Franziska Wilhelm,
Ich bin Autorin und ich rede ungern über Geld.
Vor allem übers Anlegen und über Altersvorsorge.
Ich denke auch ungern über Geld nach.
Denn schon, wenn ich nur über Geld nachdenke,
bekomme ich ein fahles Gefühl im Magen.
Immer bleibt da die Frage: Wird es reichen?
Deshalb schreibe ich lieber.
Vor ein paar Jahren schrieb zum Beispiel ich an einen Text über das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum. Bei der Recherche fiel mir auf, dass es am Bauhaus schon einige Frauen gab, die dort unterrichteten. Das Ungerechte dabei war, dass diese Frauen zwar maßgeblich zum Erfolg der Kunstschule beitrugen, aber allesamt viel schlechter bezahlt wurden.
Und was mir noch auffiel: Dieses Problem kennen wir 100 Jahre später leider immer noch.
Warum hat sich da nichts geändert? – frage ich mich heute wie damals und gebe mir selbst die Antwort:
Vielleicht weil wir zu wenig über Geld reden.
Zu wenig über Ungerechtigkeit.
Und zu wenig über das, was nur schwer zu fassen ist.
+++ ssssp
(Sternwarte)
Liebe Besucherinnen und Besucher der Sternwarte Lücke!
Ein schwarzes Loch selbst, sieht man nicht. Aber es übt einen deutlichen Effekt, auf seine Umgebung aus. Man erkennt es, an der Bewegung der Sterne, die um ein schwarzes Loch herumkreisen.
Ganze Sterne fallen in diese schwarzen Löcher und blähen sie zu riesigen Gebilden auf. Ganz heimlich wächst der unsichtbare Koloss immer weiter.
+++ ssssp
(Lore)
Lore fragt sich, wann ihr Stern gefallen ist.
Erst mit dem Kind oder eigentlich schon davor?
Das letzte Jahr an der Hochschule war ihr Bestes.
Sie bekam zwei Stipendien, einen Vertrag mit einer Galerie und der Prof selbst kaufte ihr ein Bild ab.
Damals schien sie zu schweben.
Sie mietete sich in ein Atelier ein, bekam ihre erste Einzelausstellung, verkaufte Bilder.
Es waren ein paar gute Jahre.
Aber sie waren auch nicht so gut, dass sie gut davon leben konnte.
Es schien da einen blinden Fleck zu geben, eine bestimmte Stufe, über die sie einfach nicht hinauskam. Egal, wie viel Energie sie in ihre Arbeit steckte.
Mit dem Kind wurde es noch schwieriger.
Plötzlich konnte sie abends nicht mehr weg.
Der Vater, von dem sie sich bald trennte, lebte in einer anderen Stadt.
Also musste sie Einladungen absagen. Kontakte im Sande verlaufen lassen. Präsenz herunterfahren.
Das führte dazu, dass man sie gar nicht mehr einlud.
Sie malte trotzdem weiter.
Doch ihre Bilder verkauften sich immer schlechter.
Sie hingen noch in der Galerie, aber es war, als seien sie unsichtbar geworden.
Für die Kunstwelt war Lore in ein Loch gefallen.
+++ ssssp
(U-Bahn)
Please mind the gap.
Please mind the gap.
Erinnert die Stimme in der Londoner U-Bahn
Kommt eine Tube an der nächsten Station an.
Gemeint ist der Spalt zwischen Zug und Gleis
Die Gefahr ist da und jeder weiß,
Achtung, hier gibt es noch ein Loch,
Step drüber hinweg! und dann läuft es doch
Und ich frage jetzt hier in den Raum hinein:
Warum kann es beim Geld nicht wie in der U-Bahn sein?
Please mind the gap.
Sollten wir schon im Studium rufen,
Damit wir uns Wissen und Netzwerk suchen,
Bevor wir den ersten Auftrag annehm’.
Please mind the gap.
Sollte bei uns in den Köpfen bleiben,
Wenn wir mal wieder Bewerbungen schreiben
Und in Gehaltsverhandlungen gehn.
Please mind the gap.
Sollten wir wieder und wieder sagen
Und im gleichen Atemzug fragen:
Wir schaffen wir es drüber hinweg?
Please mind the gap.
Denn es sind immer noch 18 Prozent,
die Franz von einer Franziska trennt.
Diese Ungleichheit ist es, die uns entzweit,
Genau das muss ändern, es ist an der Zeit.
Text: Franziska Wilhelm, Oktober 2022